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Nachhaltigkeit

Nachhaltigkeit in der Bau- und Immobilienbranche: Von der Vision zur Wirkung

Über achtzig Prozent unserer Kundinnen bewerten nachhaltige Ansätze in ihren Projekten als wichtig oder sehr wichtig. Das zeigte eine Umfrage vom November 2024. Nachhaltigkeit bedeutet in diesem Kontext weit mehr als die Einhaltung gesetzlicher Vorgaben. Sie umfasst den verantwortungsvollen Umgang mit Ressourcen, die Reduktion von Emissionen über den gesamten Lebenszyklus eines Gebäudes und die Schaffung von Mehrwert für Gesellschaft und Umwelt.

Während Nachhaltigkeit lange Zeit vor allem als Leitbild oder Vision verstanden wurde, stehen Unternehmen heute vor der Aufgabe, diese Haltung in die tägliche Praxis zu übersetzen. Es geht darum, ökologische Verantwortung mit wirtschaftlicher Tragfähigkeit und sozialer Wirkung in Einklang zu bringen. Gleichzeitig wächst der Druck von Politik, Investoren und Gesellschaft. Der Bausektor verursacht rund vierzig Prozent der weltweiten CO₂-Emissionen, wie der Global Status Report for Buildings and Construction des UN-Umweltprogramms (UNEP, 2023) belegt. Auch der UNEP Emissions Gap Report 2024 unterstreicht, dass ohne tiefgreifende Veränderungen im Gebäudebereich die Klimaziele unerreichbar bleiben.

Doch obwohl Daten und digitale Werkzeuge längst verfügbar sind, bleibt die Umsetzung oft hinter den Möglichkeiten zurück. Die entscheidende Frage lautet daher: Wie wird Nachhaltigkeit vom Schlagwort zum gelebten Standard?

Ein wesentlicher Treiber für den Wandel sind die europäischen Vorgaben.
Mit der im April 2024 verabschiedeten EU-Gebäuderichtlinie 2024/1275 (Energy Performance of Buildings Directive, EPBD) hat die Europäische Union einen verbindlichen Fahrplan für die Dekarbonisierung des Gebäudesektors geschaffen [Europäische Kommission, 2024].

Ab 2025 gelten einheitliche Regeln für die Berechnung des Treibhauspotenzials (Global Warming Potential, GWP) [Europäisches Parlament, 2024]. Ab 2026 müssen die Mitgliedsstaaten nationale Fahrpläne mit spezifischen Zielen und Grenzwerten veröffentlichen. 2028 tritt eine entscheidende Schwelle in Kraft: Alle Neubauten mit mehr als 1000 Quadratmetern Nutzfläche sind verpflichtet, ihr GWP offenzulegen und alle neuen öffentlichen Gebäude müssen dann, als Nullemissionsgebäude errichtet werden [Buildings Performance Institute Europe, 2024]. 2029 folgt die Solarpflicht für neue Wohngebäude sowie überdachte Parkflächen [EPBD, 2024]. Ab 2030 schließlich gilt der Nullemissionsstandard für sämtliche Neubauten, privat wie öffentlich. Zusätzlich müssen alle Neubauten ihr GWP offenlegen und die national festgelegten Grenzwerte einhalten [European Council, 2024].

Damit wird Nachhaltigkeit nicht nur ein Wettbewerbsvorteil, sondern ein verbindliches Kriterium für Genehmigungen, Finanzierungen und Investitionen. Unternehmen, die frühzeitig handeln, sichern sich klare Vorteile gegenüber jenen, die zögern.

Um Nachhaltigkeit in der Praxis zu verankern, braucht es drei zentrale Hebel: Technologie, Daten und Engagement. Technologie schafft die Werkzeuge, mit denen nachhaltiges Bauen möglich wird – von Building Information Modeling (BIM) über Cloud-Plattformen bis hin zu Automatisierung und Künstlicher Intelligenz. Daten bilden die Grundlage, um fundierte Entscheidungen zu treffen, Szenarien zu berechnen und zu vergleichen und Fortschritte messbar zu machen. Engagement schließlich bedeutet, die notwendige Zeit, Investitionen und personellen Ressourcen bereitzustellen, um sich intensiv mit den Themen auseinanderzusetzen. Es heißt, nicht abzuwarten, sondern parallel zur Entwicklung der Werkzeuge zu lernen, die KI-gestützten Tools aktiv als Nutzer zu trainieren und Prozesse durch Referenzen und Daten schrittweise zu automatisieren.

Genau hier setzt ein aktuelles Förderprogramm der auxalia WESTCAM Group an. Mehr als zehn Architektur- und Ingenieurbüros erhielten Anfang 2024 für ein Jahr eine One Click LCA-Lizenz, um das Tool begleitet zu testen und es schrittweise in ihre internen Prozesse zu integrieren. Dass dies kein einfacher Prozess ist, lernen wir gemeinsam. Denn eine Lebenszyklusanalyse entsteht nicht mit „einem Klick“. Sie erfordert eine sehr präzise Vorbereitung des Modells, die saubere Zuordnung von Massen und Materialien sowie detaillierte Angaben zu Energiewerten und Standortbedingungen. Erst auf dieser Basis können Materialien ausprobiert, Varianten verglichen und belastbare Ergebnisse erzielt werden.

Viele wünschen sich, dass eine LCA tatsächlich auf Knopfdruck funktioniert.
Doch realistisch betrachtet wird das auch bis 2028 nicht der Fall sein. Deshalb müssen wir jetzt lernen: die notwendigen Daten aufbereiten, die Tools erlernen und die Zeit sowie die Energie investieren, die dafür erforderlich sind.

Ein weiterer entscheidender Baustein ist Building Information Modeling (BIM). Ein gutes Modell ist die Grundlage dafür, dass Nachhaltigkeit nicht nur theoretisch bleibt, sondern über den gesamten Lebenszyklus eines Gebäudes hinweg messbar und steuerbar wird. Jacob Osterhaus von Madaster betont: Ein BIM-Modell reduziert Schritte und bündelt Informationen, sodass Gebäude datenbasiert bewertet und optimiert werden können.

Dabei geht es nicht allein um Geometrie, sondern vor allem um die Qualität der Informationen, die im Modell hinterlegt sind. Nur wenn Materialien, Bauteile, Energiekennwerte und Standortfaktoren präzise erfasst werden, entsteht ein digitales Abbild, das als Basis für fundierte Nachhaltigkeitsentscheidungen dient. Auf dieser Grundlage können ökologische Auswirkungen berechnet, Varianten verglichen, Rückbau- und Wiederverwendungsszenarien entwickelt und Konzepte der Kreislaufwirtschaft praktisch umgesetzt werden.

Die volle Wirkung entfaltet BIM jedoch erst im Zusammenspiel mit Cloud-Technologien und Automatisierung. Durch die Arbeit in der Cloud können Teams gleichzeitig auf dasselbe Modell zugreifen, Daten in Echtzeit aktualisieren und Informationen ohne Medienbrüche austauschen. Plattformen helfen, Datensilos aufzubrechen und Wissen sowohl innerhalb eines Unternehmens als auch über Projektgrenzen hinweg zugänglich zu machen.

Automatisierung senkt dabei die Eintrittsbarrieren. Viele Prozesse, die heute noch zeitaufwendig manuell erledigt werden müssen – wie Energie- oder Materialberechnungen –, können durch Automatisierung beschleunigt und standardisiert werden. Künstliche Intelligenz unterstützt zusätzlich, indem sie Muster erkennt, Vorschläge optimiert und repetitive Aufgaben übernimmt.

Die Einführung neuer Software bedeutet nicht nur, Lizenzen zu erwerben, sondern vor allem, die Mitarbeitenden einzubeziehen, die täglich damit arbeiten. Strukturierte Schulungen, praxisnahe Pilotprojekte und professionelles Change-Management sind dafür unerlässlich. In vielen Fällen müssen zudem neue Kompetenzen aufgebaut oder zusätzliche Fachkräfte eingestellt werden.

Wesentlich ist, überhaupt den ersten Schritt zu gehen und sich bewusst auf den Lernprozess einzulassen. Perfektion von Anfang an ist weder möglich noch notwendig. Genau das spiegelt sich auch im Stufenplan der EU wider: Mit der Richtlinie 2024/1275 werden die Anforderungen schrittweise eingeführt – zunächst die Offenlegung des Treibhauspotenzials, später die Einhaltung nationaler Grenzwerte und schließlich der verpflichtende Null-Emissionsstandard für alle Neubauten ab 2030.

Unternehmen sollten diese Logik übernehmen und einen eigenen internen Stufenplan entwickeln.
Ein solcher Fahrplan legt fest, welche Nachhaltigkeitsziele erreicht werden sollen, wann neue Werkzeuge eingeführt werden, wie Mitarbeitende geschult werden und wo externe Expertise benötigt wird. Schritt für Schritt entsteht so eine realistische Roadmap, die den Weg von der Vision in die Praxis begleitet und Orientierung im Transformationsprozess gibt.

Darüber hinaus gehört zum Engagement auch die Übernahme lokaler Verantwortung. Nachhaltigkeit endet nicht an der Projektgrenze. Kooperationen mit Initiativen vor Ort, Bildungsangebote oder Beteiligung an gemeinnützigen Projekten schaffen zusätzliche Wirkung und stärken zugleich die Akzeptanz in der Gesellschaft. „Global denken und lokal handeln“ sagt Malte Schmedes des Loki Schmidt Stiftung – im Quartier, in der Region und im direkten Umfeld der eigenen Projekte. So wird Nachhaltigkeit nicht nur technisch und organisatorisch verankert, sondern auch gesellschaftlich sichtbar und wirksam.